Beim Wort Stau denken viele sofort an den Gotthard und andere Verkehrswege. Doch in der Schweiz zeichnet sich ein neuer Stau ab – es ist der Initiativenstau.
Kaum haben wir über die Einheitskrankenkasse und die Mehrwertsteuer-Gastroinitiative abgestimmt, werden wir auf die nächsten drei Themen eingetrimmt: Abschaffung der Pauschalbesteuerung, Ecopop- und Gold-Initiative, eine chancenlose, unnötige Initiative einiger SVP-Politiker. So wird es in den nächsten Jahren Schlag auf Schlag weitergehen. Neun Volksinitiativen werden zurzeit in beiden Kammern besprochen. Zu weiteren fünf zu Stande gekommenen Initiativen muss der Bundesrat als erstes eine aufwendige Botschaft mit Abstimmungsempfehlung schreiben, dazu gehört auch die doch ziemlich rührige Initiative, „Schutz vor Sexualisierung in Kindergarten und Primarschule“. Für zehn weitere Initiativen werden zurzeit Unterschriften gesammelt. In Bundeshaus sind die Volksinitiativen die einzigen Themen, bei welchen alle Abgeordneten sprechen dürfen. Dies hat zur Folge, dass jede Initiative auch im Plenum Stunden beansprucht. Dazu kommen Kommissionsarbeit, Parteiveranstaltungen, usw. Der Politbetrieb wird in Trab gehalten. Regierung und Parlament, die ganz Schweiz sind seit einigen Jahren im Initiativenstress. Und die Medien haben kaum Zeit und Raum, um diese seriös zu behandeln. Zu häufig muss die Stimmbevölkerung auch zu kaum relevanten Themen abstimmen. Für unsere direkte Demokratie ist dies nicht gut. Eine Erhöhung der Unterschriftenzahlen ist für mich aber nicht der richtige Weg. Einerseits können auch kuriose Vorlagen erhöhte Unterschriftenzahlen erreichen, wichtige Grundsatzfragen dagegen Mühe haben 100‘000 Unterschriften zu erhalten. Wir brauchen ein Parlament, das auch einmal Nein zu einem unkorrekten Initiativtext sagt und Bürgerinnen und Bürger, die das Instrument der Volksinitiative nicht zur Beliebigkeit verkommen lassen.
Kolumne publiziert im Tagblatt der Stadt Zürich vom 7. Oktober 2014
Dazu ein Leserbrief im Tagblatt der Stadt Zürich vom 15. Oktober 2014
http://epaper2.tagblattzuerich.ch/ee/tazh/_main_/2014/10/15/023/
Reaktion auf die Kolumne «PolitStau» im «Tagblatt» vom 8.10.: Sehr geehrte Frau Riklin, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Wir Stimmbürger werden mit so vielen Initiativen «eingedeckt», dass uns nächstens die Freude an der direkten Demokratie verloren geht. Den meisten Initiativen fehlt ein wirklicher Grund, ein echtes Bedürfnis. Viele werden nur lanciert, um die betreffende Partei ins Gespräch zu hieven, ihre Präsenz in den Medien zu stärken und um ihre Profilneurosen zu pflegen. Und den ganzen riesigen Aufwand, den Sie in Ihrer Kolumne beschreiben, den bezahlt ja letztlich der Stimmbürger, d.h. alle Steuerzahler. Warum müssen eigentlich nicht die Initianten selber (wenigstens teilweise) für diese Kosten aufkommen? Im Gegensatz zu Ihrer Meinung glaube ich jedoch, dass eine massive Erhöhung der Unterschriftenzahlen etlichen Initiativen den Weg ins Parlament erschweren könnte. Bitte, Frau Riklin, bleiben Sie an diesem Thema dran, meinen Dank für Ihre Bemühungen haben Sie.
Verena Krebser
NZZ vom 18. Oktober 2014 Artikel von Markus Häfliger kommt zum selben Schluss, lesenswert:
http://www.nzz.ch/schweiz/das-schweizer-parlament-vom-volk-getrieben-und-zuegelloser-1.18406330
Ein Beispiel dazu, NZZ vom 18. Oktober 2014
BUNDESGERICHT
Endgültiges Aus für Steuerbonus-Initiative
Pda blitzt beim Bundesgericht ab
rib. · Wer mehr als 3 Millionen Franken Vermögen besitzt, soll darauf eine einmalige Steuer von mindestens 1 Prozent zahlen - und dafür sollen Steuerpflichtige mit Einkommen von weniger als 100 000 Franken einen Bonus von 5000 Franken bekommen. So wollte die Partei der Arbeit (PdA) umverteilen und reichte 2012 die Volksinitiative «Steuerbonus für Dich» ein. An die Urnen kam das Begehren aber nie. Denn auf Antrag der Regierung erklärte es der Kantonsrat wegen Verfassungswidrigkeit für ungültig.
Dagegen erhob die PdA am Bundesgericht Beschwerde. Und diese ist nun abgewiesen worden, wie die Finanzdirektion mitteilt. Laut Bundesgericht würde die Umsetzung der Initiative zu verfassungswidrigen Brüchen in der Besteuerung führen: Ein Vermögen von 2,999 Millionen würde mit rund 11 000 Franken besteuert, eines von 3,001 Millionen mit gut 86 000 Franken. Von massvoller Progression könnte nicht mehr die Rede sein, von Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch nicht. Es bleibt also dabei: Das Volk muss sich nicht zur Initiative der PdA äussern.
Urteil 1C_586/2013 vom 7. 10. 14.